Das kleine Lichtbaby in ihren Armen schien einen erschöpfenden Traum geträumt zu haben
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und jetzt schien es noch tiefer in seinen Traum gefallen zu sein, als je zuvor.
Die große Mutter hielt ihren Sprössling fest, jedoch sanft in ihren Armen. Sie wusste, wem er in der letzten Nacht begegnet war und sie wusste auch, was das für sein Traumleben bedeutete.
Die zweite Hälfte seines Lebens war in seinen Träumen angebrochen. Von nun an sollte es anders werden, als er es bisher erfahren hatte. Sie schaute umsorgend und wohlwollend auf das Lichtbaby in ihren Armen und strich ihm mit liebvoller Hand die kleinen dunklen Locken aus der verschwitzten Stirn.
„Nun kommt bald die Zeit, Dich wieder auszuruhen mein Schatz. Gib Dich einfach hin und alles wird seinen normalen Lauf der Dinge nehmen.“
Die große Mutter wusste, dass die bevorstehende Traumzeit vielleicht nicht leicht werden würde für den Lichtkönig in ihren Armen, aber sie schaute zuversichtlich auf ihn. Er würde seinen Weg finden. Außerdem wusste die große Mutter auch, wem er als nächstes im Traum begegnen würde und der Gedanke daran zauberte ihr selbst ein Lächeln auf die Lippen. So ruhte das Kind in ihren Armen und träumte in dieser Nacht seinen siebten Traum.
Ein Rascheln wechte ihn, ganz unweit von seinem Strauch
Langsam blinzelte er durch seine schweren Augenlider in die Welt.
"Uhhh", dem Lichtkönig brummte der Schädel.
"Was war das in der letzten Nacht doch für ein sonderbarer Traum gewesen?"
Er fühlte sich, als wäre ihm der ganze Kopf von den Schultern gefallen.
Da raschelte es erneut im Gebüsch vor ihm und es grunzte. Was für ein interessantes Geräusch. Langsam erhob sich der König aus dem Schatten. Es ging für ihn nun darum, den Abstieg vorzunehmen und vom hohen Berg wieder hinab zu steigen. Seine Mission war vollbracht.
Da raschelte es erneut im Gebüsch und grunzte so laut, dass der König kurz zusammen schrak.
„Nun geh mir doch mal aus dem Weg Du dickes Ding.“
„Ich dickes Ding? Hast Du kürzlich mal deine eigene Speckschwarte gesehen? Pahh.“
Ein ordentliches Grunzen entfuhr dem Busch neben dem Lichtkönig.
Er ging einen Schritt zurück und versteckte sich hinter dem nächsten Baum, um unentdeckt zu bleiben und dem sprechenden Busch zu lauschen.
„Ahh das ich nicht lache. Den Herrn haben wohl seine eigenen Borsten geblendet. Deine Wampe ist aber auch nicht von schlechten Eltern. Hahaha.“
„So jetzt reichts. Dies hier ist mein Schlammloch und ich mach mich jetzt hier auch breit.“
„Hast Du denn vergessen, dass wir beide hier aufpassen sollen, bis er aufwacht? Wir haben einen Auftrag, falls Dir das entfallen ist?“
„Ja genau und warst Du nicht dran mit Wache halten? Ja, w o ist er denn?“
„Ja wo ist er denn? Er liegt gar nicht mehr unter dem Strauch.“
Leicht aufgeregtes Grunzen kam aus dem Busch. Der Lichtkönig erschrak erneut. Meinten sie etwa ihn?
Da wackelte der ganze Busch vor ihm und heraus kamen zwei Wesen, ...
... die kurioser nicht hätten aussehen können.
Zwei sehr kompakte, eher kleine Wesen im Vergleich zur Bärin Hexe Hornung, aber diese hier hatten weniger Fell, mehr Borsten. Und was für Borsten, hell leuchtend, golden und strahlend. Beide hatten eine lange runde Nase mit zwei Löchern drin und jeweils an der Seite ihrer Schnauzen rakten große Stoßzähne heraus. Ihre Beine waren relativ klein, aber ihre Körper sahen sehr vulominös aus. Zwar irgendwie lustig, aber doch nicht so, als würde man es sich gern mit den Gesellen verscherzen.
„So das hast Du ja mal wieder gut angestellt. Er ist weg.“
„Ich? Hallo, es war genauso Deine Aufgabe.“
„Ja toll und was sollen wir jetzt Hexe Heuert sagen?“
"Hexe Heuert?" Der Lichtkönig horchte auf, als er den Namen hörte. Bisher haben die Hexen ihn in seinem Leben immer einen Schritt weiter gebracht. Vielleicht war es in diesem Fall auch so. Vielleicht wäre es eine gute Idee einmal Freundschaft mit diesen Wesen zu schließen, um zu erfahren, wo diese Hexe Heuert lebt.
„Hrrhhrrrmm“, räuspelte sich der Lichtkönig und trat einen Schritt hinter dem Baumstamm hervor. „Meint ihre zwei Figuren etwa mich?“
„Da bist Du ja. Welch ein Glück? Ja wunderbar. Warum hast Du Dich denn vor uns versteckt?“, raunte das eine Wesen erleichtert.
„Na hör mal, so ein lautes Gegrunze und Gezanke. Da wollte ich mir erstmal ein Bild machen, wer mich hier sucht.“
„Na da haben wir ja nochmal Schwein gehabt. Also werter Herr Lichtkönig. Darf ich mich mal vorstellen? Ich bin der weit bekannte Herr Gullinbursti. Ich habe von allen Wildschweinen die leuchtensten Borsten und ich bin schneller als jedes Pferd.“
„Momentchen, momentchen. Ich glaube Dir scheinen deine Borsten zu Kopf gestiegen zu sein“, das andere Wesen drehte sich empört im Matschloch um.
„Ich bin ja wohl hier der Schnellste und meine Borsten leuchten viel heller als deine. Das ich nicht lache. Ich bin übrigens der Herr Hildisvini. Und außerdem bin ich das Lieblings-Wildschwein von unserer Edeldame Hexe Heuert.“
Empört grunzte Gullinbursti: „So ein Quatsch, ICH bin das Lieblings-Schwein von...“
„Moment, Moment. Werte Herren“, rief der Lichtkönig dazwischen. „Ich bin mir sich, dass ihr beide die strahlendsten Borsten habt und Pferde können es sicherlich nicht mit euch aufnehmen. Aber was mich ja brennend interessiert. Wo lebt denn die Hexe Heuert.“
„Ja natürlich“, grunzte Gullinbursti. “Ich habe den Auftrag, dich zu ihr zu bringen.“
„He, wir haben beide den Auftrag“, raunte Hildisvini dazwischen. „Werter Lichtkönig. Hüpf mal auf meinen Rücken. Ich bringe Dich zu ihr.“
„Hallo? Ich bin der viel stärkere von uns. Er hüpf ja wohl auf meinen Rücken“, grunzte Gullinbursti empört.
„Meine Herren. Ich fühle mich überaus geehrt, dass ihr mir beide eure starken Rücken anbieten wollt. Aber ich kann sehr gut selbst gehen. Das ist gar kein Problem.“
„Werte Lichtkönig“, grunzte Hildisvini. „Bei allem Respekt, aber wir haben klare Anweisungen von Hexe Heuert. Wir sollen sie auf unserem Rücken tragen.“
„Nun gut“, sagte der Lichtkönig. „Dann machen wir es doch einfach so. Ich reite auf Deinem Rücken Gullinbursti und Du Hildisvini rennst vor und zeigst, wo es lang geht. Ich hab das Gefühl, dass du ein saumäßig gutes Orientierungsvermögen hast.“
„Nagut“, grunzten beide Wildschweine im Chor. Das schien sie überzeugt zu haben. So kletterte der Lichtkönig auf den Rücken von Gullinbursti und Hildisvini preschte voran, immer weiter den Berg hinunter.
Und so begann der wilde Ritt
Der Lichtkönig hielt sich an den strahlenden Borsten des Wildschweins fest.
Sie sausten zusammen durch die Wälder und Hügel. Und manchmal machten die Schweine einen großen Sprung und flogen sogar durch die Luft. Es schien so, als könnten sie auch auf dem Wind reiten.
„Ja, das ist ja ein fantastisches Erlebnis“, dachte der Lichtkönig und freute sich über diese Reise.
Schließlich kamen sie an einen weiten, klaren Bergbach. Die beiden Schweine verlangsamten ihr Tempo nicht, sondern rasten weiter auf das Wasser hinzu. Und schließlich pesten sie über dieses Wasser hinüber. Sie galoppierten auf der Wasseroberfläche, als wäre es kein Unterschied zu Land oder Luft. Manchmal tauchte Gullinbursti unter und schwamm eine Runde ohne an Tempo zu verlieren, was eine schöne Abkühlung für den Lichtkönig war. Die beiden Wildschweine hatten nicht übertrieben. Beide waren unfassbar schnell.
Als sie den Bergsee hinter sich gelassen hatten, ging es noch eine wild bewachsene Böschung hinunter und schließlich hielten sie vor einem leuchtendem Feld mit goldenem Weizen an, welches sich auf einem Platteau befand, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf das Tal hatte. Das Tal war nun schon viel näher dran, da sie ein gutes Stück den Berg hinabgestiegen waren.
„Wir sind angekommen“, grunzte Hildisvini.
Gullinbursti ging etwas in die Knie, sodass der Lichtkönig leichter absteigen konnte.
„Und wo ist jetzt die Hexe Heuert?“, der Lichtkönig drehte sich irritiert um. Die beiden Wildschweine deuteten bedeutungsvoll in Feld.
„Ok“, sagte der Lichtkönig fragend. „Was soll denn hier sein?“
Langsam ging er auf das Feld zu und sah sich um, aber hier war niemand
Da plötzlich wehte ein Wind durch den Weizen. Die Halme bogen sich auseinander, sodass sich ein Weg durch das Feld darbot. Der Lichtkönig ging neugierig ins leuchtende Weizenfeld und da sah er eine hell leuchtende Frau in einem Kleid, das aus purem, goldenem Weizen bestand. Mit Haar so hell wie sie Sonne.
Der Lichtkönig kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Ah, werter Lichtkönig. Mhh, Du siehst ja in diesem Jahr noch stattlicher aus als je zuvor“, lächelte die goldene Frau.
„Darf ich mich vorstellen. Ich bin Hexe Heuert. Meine beiden Gefährten Gullinbursti und Hildisvini hast Du ja bereits kennen gelernt.“
„A-a-a ber Du bist ja gar keine Tiergestalt“, wunderte sich der Lichtkönig. „So wie die anderen Hexen bisher.“
„Ahaha“, lachte die Hexe mit glockenheller Stimme. „Nein, das bin ich nicht. Ich symbolisiere den siebten Monat in deinem Leben lieber König. Den Juli oder auch Heuert genannt und ich stehe für das Heu, die erste Ernte des Jahres. So ist auch der Vollmond in diesem Monat nach mir benannt, der Heumond. Und so wird es auch in deinem Leben werter König, ab jetzt etwas anders zugehen. Du bist bereits einen weiten Weg gewandert. Es ist nun Zeit die erste Ernte einzufahren. Jetzt ist es wichtig, dass Du Dein Zepter abgibst. Denn wenn Du weiter so intensiv strahlst, dann besteht die Gefah, dass die Ernte der Menschen verbrennt und verdorrt.“
Der Lichtkönig schaute beschämt zu Boden und dachte an seine Freunde die Eiben, bei denen es kürzlich gebrannt hatte.
„Kein Grund sich zu grämen lieber Lichtkönig. Eine ganz wundervolle Zeit bricht an. Schau einmal, wie Du durch das Leben Deiner Mission, Andere in ihre Kraft geholfen hast. Menschen und Tiere konnten so viel Nahrung pflanzen und sammeln. Sie haben Feste gefeiert und sich des Lebens erfreut. Sie brauchen nun nicht mehr Deine volle Strahlkraft. Sie können sich selbst versorgen, sich lieben und sich vermehren.
Dank Dir sind sie in ihre eigene Kraft gekommen. Aber irgendwann muss der Held erkennen, dass er nicht mehr auf der großen Bühne steht, sondern dass er den Platz frei machen darf für seine Nachfolger, die seine Mission weitertragen. Mensch und Tier tragen die Wärme der Sonne in ihren Herzen und verbreiten die Freude des Sommers.“
Der Lichtkönig hörte aufmerksam zu. Es machte Sinn, was Hexe Heuert sagte. Auch merkte er in sich, dass der jugendliche Leichtsinn, der ihn eins angetrieben hatte, sich etwas gelegt hat und er so etwas wie eine innere Ruhe in sich spürte.
Hexe Heuert schmunzelte und als hätte sie seine Gedanken gelesen sagte sie: „Das, was Du nun zu spüren beginnst, nennt sich Weisheit. Sie ist noch klein, aber wird im Laufe Deines Lebens immer größer werden. Es geht nun nicht mehr darum, alles allein zu schaffen und immer weiter vor zu preschen. Lass mich Dir 3 Fragen für Deinen weiteren Lebensweg mitgeben.
Welche Hilfe darfst Du von Anderen annehmen, um Deine Mission noch besser zu leben?
Was sehen andere in Dir, wofür schätzen sie Dich?
Auf welche Weise hast Du bereits das Leben von Anderen beeinflusst?“
Mit diesen Worten wehte erneut eine leichte Sommerbrise durch das Feld...
... und die Halme des Weizens bogen sich erneut hin und her.
Der Lichtkönig taumelte etwas im Wind und als er wieder zu Hexe Heuert schauen wollte, war sie auf einmal verschwunden. Er lief aus dem Weizenfeld hinaus, aber auch die beiden Wildschweine Gullinbursti und Hildisvini waren nicht mehr da.
Da umhüllte den Lichtkönig eine schwere Müdigkeit und er entschied sich, sich im Schatten eines Baumes zum Schlafen nieder zu legen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Weisheit in sich wachsen spürte und sich ein traumloser Schlaf über ihn legte.
Kleines Ritual zur siebten Rauhnacht:
Entzünde nun insgesamt sieben Kerzen auf Deinem Lichterteller, Lichteraltar oder Tablet. Eine für jede Rauhnacht, die Du bereits durchgangen bist.
Stelle Dir vor, wie das Licht in Dir selbst immer größer wird und es über Deine Körpergrenzen hinaus, aus Dir heraus strahlt und andere Lebenwesen erhellt.
In der nordischen Mythologie ritt der Gott Freyr auf dem Wildschwein Gullinbursti und die Göttin Freya ritt auf ihrem Wildschwein Hildisvini. Beide Wildschweine waren starke Symbole für Schutz, Kampfbereitschaft und Fruchtbarkeit. Ihr goldenen Borsten wurden von den Zwergen hergestellt.
Verbinde Dich beim Entzünden der Kerzen innerlich mit der wilden Energie der Wildschweine.
Wo in Dir lebt ebenso diese Kraft? Welche Wildheit will sich zeigen?
Dann verbinde Dich auch mit der Energie der Hexe Heuert und ihrer verführerischen Sanftheit. Auch das symbolisiert den Sommer.
Kannst Du beide Seiten in Dir entdecken und lebe?
Setze Dich an Deine Kerzen und meditiere über folgende Fragen:
Welche Hilfe darfst Du von Anderen annehmen, um Deine Mission noch besser leben zu können?
Was sehen andere in dir, wofür schätzen sie dich?
Auf welche Weise hast Du bereits das Leben von Anderen beeinflusst?
Schreibe Dir Deine Erkenntnisse auf.
Kleiner Tipp: Du kannst in Dein Rauhnachts-Tagebuch lustvolle, lebensfreudige und spaßige Ereignisse aufschreiben. Welche Energie des Sommers willst Du in Deinem neuen Jahr 2025 leben?
Liebe, du hast etwas Großartiges mit deinen Raunachtsmärchen geschaffen und mich tief berührt. Von Herzen Danke zu dir⭐️✨💛
Lg Ilona
Liebe Germaid,
es war eine Freude, den Wildschweinen zu lauschen. Deine Sprachbegabung ist bemerkenswert. Sie gibt den Märchengestalten ihre Kraft und Stärke und dem Geschehen die Dramaturgie.
Ich freue mich auf das heutige Treffen und den Weitergang dieser Geschichte, die sich wie eine Parabel über mein Leben spannt und mir Kraft gibt. ❤️💫🌟🌟🌟