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Dezember 31, 2024

Rauhnachts-Märchen Teil 11: „Nebelschwaden – Das Tor zur Anderswelt“

Der kleine Lichtkönig in ihren Armen bewegte sich fast gar nicht mehr

Sein Atem war so ruhig und langsam geworden, wie der eines alten Greises. Obwohl er erst 10 Nächte alt war, strahlte der Säugling die Weisheit eines Großvaters aus. Seine kleine Hand umfasste den Zeigefinger der großen Mutter, als wolle er sich noch an etwas festhalten, bevor es für ihn in seinen 11ten Traum ging, bevor es für ihn ins große Loslassen ging.

Die große Mutter hatte sich ebenso eine sehr lange Zeit nicht mehr bewegt. Sie hielt ihr Kind in ihren Armen und betrachtete es sanft und milde ohne den Blick abzuwenden, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war ein stiller, intimer Moment.

Oben an der Erdoberfläche sangen die Eiben ein leises, altes Lied und webten mit dem Klang einen besonderen Schutz, der sich wie ein Nebel auf den Erdboden legte. Der ganze Wald schien den Atem anzuhalten, als der kleine Lichtkönig tief unten im Erdenbauch begann seinen 11ten Traum zu träumen.


Der uralte Lichtkönig glitt langsam wieder hinüber aus seinem traumlosen Schlaf...

... und erwachte durch ein sonderbares Geräusch. Es war wie ein Flüstern, dumpf und monoton, wie durch eine Decke hindurch.

Der König schlug seine Augen auf, doch die Welt vor ihm war eine Andere, als er sie kannte. Das Licht hatte sich fast gänzlich zurück gezogen, es war nur noch ein trüber Schein wahrzunehmen und die schemenhaften Umrisse der Bäume. Vor seinen Augen hingen Nebelschwaden und das sonderbare Flüstern war wie eine Welle die immer näher an sein Ohr heran rauschte und sich auch wieder von ihm entfernte.

Er versuchte durch den Nebel zu schauen, doch je mehr er sich anstengte, desto weniger gelang es ihm irgendetwas vor ihm wahrzunehmen. Als er schließlich einfach losließ und nichts mehr verstehen oder erkennen wollte, kamen die flüsternden Stimmen immer näher auf ihn zu. 

Früher hätten ihn noch Fragen angetrieben, wie:
„Was waren das für Stimmen? Was sagten sie?“

Doch der uralte König hatte kein Verlangen mehr irgendetwas zu verstehen oder zu begreifen. Er war auch viel zu schwach, um sich noch zu erheben und den Nebelschwaden hinterher zu eilen.

Stattdessen ließ er sich in diese unwirkliche Stimmung fallen. In diesem Moment fiel dem König auf, je weniger er vom Geflüster verstehen wollte, desto mehr Worte drangen an sein Ohr.

Je weniger er die Gestalten im Nebel erkennen wollte, desto klarer zeigten sie sich vor seinem trüben Auge.

Die Welten sind verschwommen.“
Komm König, komm nun Heim.“
Die Zeit schon fast zerronnen.“
Begleiten wir Dich. Schritt für Schritt.“
Durch's Tore von Samhain.“


Es waren die Nebelgeister selbst, die dieses wundersame Lied sangen

Der König blinzelte durch seine schweren Augenlider und sah, wie sie auf ihn zu schwebten. Er hatte keine Angst. Tief in seinem Inneren wusste er, dass alles seinen richtigen Gang nahm. Er wusste in diesem Moment alles und brauchte keine Worte oder Erklärungen mehr.

Es war nun Zeit für ihn durch das Tor zu gehen. Etwas in ihm freute sich sogar darauf. Und als die Nebelgeister seine Hand nahmen, fühlte es sich so leicht an einfach mitzugehen. Auch seine schweren Knochen fühlte er nicht mehr. Es war, als wäre er wieder der jugendliche Lichtkönig von einst so voller Kraft. Sein Herz füllte sich mit Freude. Er war umringt von freundlich aussehenden Nebelgestalten. Sie lächelten ihm zu.

Als er in die Augen eines jeden Wesens sah, war es als würde er Momente aus seinem Leben betrachten. Da waren die Dachsfrau, die Hirschkuh und auch die Schlange. Im nächsten Moment sirrte die Biene an ihm vorbei und plötzlich entdeckte er die goldene Frau im Weizenkleid. Weiter durch den Nebel hindurch konnte er die beiden Wildschweine wahrnehmen. Auch das Maikätzchen und der kleine Hoppelhase erschienen ihm.

Je weiter er durch den Nebel schwebte, desto mehr Wesen nahm er wahr. Schließlich entdeckte er seine Geliebte Ostara in einer Nebelfigur. Es schien eine Ewigkeit her, doch sein Herz erinnerte sich sofort an die tiefe Liebe und der uralte König begann zu lächeln. Weiter durch den dichten Nebel hindurch entdeckte er die Storchenfrau und die Bärin und schließlich sah er in die zwei gelb leuchtenden Augen der Wolfsfrau. 


Der Mond schien wie eine hell leuchtende Scheibe über ihm

Der Wald hatte sein Licht verloren und der Lichtkönig konnte nur mehr in einem kleinen Umkreis entdecken, was um ihn herum geschah. Er schaute zum Mond hinauf und dachte bei sich: „Dich kenne ich. Ich nannte Dich einst Mond. Ah, ich weiß. Dich hier nenne ich Nebelmond.“ 

Und just in diesem Moment, als sich die Nebel etwas lichteten und der Mond sein silbrig scheinendes Licht auf die Erde schickte, bestrahlte er eine große, längliche Gestalt. Es war eine alte, weise Frau mit Haaren so lang, bis auf den Boden und so silbrig scheinend wie das Mondlicht selbst. In ihren Augen stand das Leben geschrieben. Sie trug tiefe Falten im Gesicht und ihr Mantel war aus feinem glitzenden Nebelfäden gewebt. 

Die Figur schwebte auf den Lichtkönig zu. Sie sprach nicht, und doch hörte der uralte König ihre tiefe Stimme in seinem Kopf erklingen:
„Da bist ja mein Sohn. Wie schön Dich wieder zu sehen. Das Leben steht Dir ins Gesicht geschrieben und Deine Augen leuchten vor Weisheit.

Es war ein gutes Leben, mein alter Freund. Nicht wahr? Es war ein gutes Leben. Ein lohnenswertes Leben? Wir brauchen nicht mehr viele Worte verlieren. Dein Herz weiß längst auf welcher Reise Du Dich befindest. 

Meinen Namen kennst Du auch. Wir haben uns in den letzten Äonen von Jahren schon unzählige Male getroffen.“

Der uralte Lichtkönig schaute die alte Weise an und sprach ebenso in Gedanken ohne seine Lippen oder seine Stimme zu benutzen

Du bist die Hexe Nebelung. Und Du symbolisierst den 11ten Monat meines Lebens. Es ist der letzte Monat meines Lebens auf dieser Seite des Seins, bevor ich noch einen Monat in der Dunkelwelt erlebe.“

So ist es mein König. So ist es. Ich sehe Deine Erinnerung kehrt zurück. Dann weißt Du ja auch, wer hier im Nebel noch auf Dich wartet.“


Der uralte König schaute an Hexe Nebelung vorbei ...

... und entdeckte seine über alles geliebte Eibenfamilie. Die Eibenfrauen, die Eibenmänner und auch die Eibenkinder. Sie alle wiegten sich vor Freude im Wind. Da war auch sie, die älteste und weiseste aller Eiben. Die große, mütterliche Eibenfrau und mit ihren breiten Stamm mit der Einkerbung, welche bis in ihr Wurzelwerk reichte. Es war der Eingang zur anderen Welt, zur Unterwelt aus der er einst geboren wurde. Die Eibenfrau lächelte ihm zu und hieß ihn Willkommen, indem sie ihre immergrünen Zweige schüttelte. 

Sie warten schon auf Dich. Sie freuen sich alle sehr auf Dich mein alter, weiser König. Es ist nun Zeit“, erklang die Stimme von Hexe Nebelung in seinem Kopf. 

Lass mich Dir auf diese Reise 3 Fragen mitgeben: 

Was ist es, was Dir in Deinem Vorankommen nicht mehr dient, was Du jetzt endgültig loslassen darfst?

Welcher Glaube über Dich selbst, darf heute sterben?

Was sollen Menschen von Dir in Erinnerung behalten, wenn Du nicht mehr bist?“

Mit diesen Worte verschwand die Hexe Nebelung im Nirgendwo und der uralte König fand sich in den Armen der mütterlichen Eibenfrau wieder.

Es war nun nichts mehr zu tun. Als würde ihr Stamm ihn aufsaugen, glitt er langsam hinüber in die andere Welt, in die Dunkelwelt aus der er gekommen war. Er ließ sich einfach fallen und im nächsten Moment schon als er endgültig durch das Tor der Anderswelt verschwunden war, umhüllte ihn erneut ein traumloser Schlaf.


Kleines Ritual zur elften Rauhnacht:

Entzünde nun insgesamt elf Kerzen auf Deinem Lichterteller, Lichteraltar oder Tablet. 

Genieße den immer heller werden Schein und lasse Dein gesamtes Leben beleuchten. Lasse Erlebnisse, Menschen, Orte Deines Lebens in Dir aufleuchten, die Dich zu der Frau, dem Mann geformt haben die oder der Du heute bist.


Verbinde Dich beim Entzünden der Kerzen innerlich mit der Kraft des Loslassens in Dir und mit der Energie der alten, weisen Hexe Nebelung.


Setze Dich an Deine Kerzen und meditiere über folgende Fragen: 

Was ist es, was Dir in Deinem Vorankommen nicht mehr dient, was Du jetzt endgültig loslassen darfst?

Welcher Glaube über Dich selbst, darf heute sterben?

Was sollen Menschen von Dir in Erinnerung behalten, wenn Du nicht mehr bist?


Schreibe Dir Deine Erkenntnisse auf.


Kleiner Tipp: Es ist der letzte Tag des alten Jahres - Ein perfekter Zeitpunkt zum Loslassen. Doch bedenke: wahres Loslassen funktioniert nur, wenn Du das, was Du loslassen willst, vorher in der Tiefe angenommen hast.

Schreibe auf, womit Du in Deinem Leben noch im Widerstand bist und was Du in Liebe annehmen darfst. Welche Lektion sollst Du daraus noch lernen, bevor Du es loslassen kannst? 



Germaid Charlotte

Gründerin von New Women New Earth, Coach, Sängerin, Medicine Woman.

Germaid unterstützt Dich darin, Deine Beziehungen zu heilen, damit Du mit Freude und Kraft Deiner Weiblichkeit Ausdruck verleihen kannst.


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  • Liebe Germaid,
    das Märchen hat so einen Tiefgang, der mich im innersten Berührt. Ich komme so intensiv mit mir selbst in Kontakt und das ist für mich so kostbar. Ich danke dir so sehr dafür. ❤️

  • Liebe Germaid Charlotte,
    es ist so ein wunderbares Rauhnachtsmärchen. Es ist einfach nur noch zauberhaft und hat so einen weisen Sinn. Vielen Dank dafür!
    Schade, daß es schon bald zu Ende ist!
    VlG Betty

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