Es war einmal vor gar nicht all zu langer Zeit, ...
... da lebte ein junges Mädchen in einem kleinen Dorf am Waldesrand.
Es zog gerade der kalte, weiße Winter ein. Leise Schneeflocken legten sich über die Dächer, während in den Häusern sanftes Kerzenlicht schimmerte.
Doch das junge Mädchen war alles andere als in einer besinnlichen Stimmung. Viele Jahre schon lebte sie in diesem Dorf doch irgendwie konnte sie mit den anderen Menschen nicht so recht in Kontakt kommen. Ihre Lieblingsbeschäftigung war es, in die Sterne zu schauen und tagzuträumen. Das fanden die anderen Dorfbewohner irgendwie seltsam und machten sich oft lustig über das junge Mädchen.
Natürlich stimmte dies das Mädchen traurig. Sie wollte gerne zu ihnen gehören, doch wusste sie nicht, wie sie es anstellen sollte, sich so anzupassen, dass die Menschen sie akzeptierten. Hin und wieder war das Mädchen traurig und dann war sie manchmal sogar wütend auf die anderen Dorfbewohner.
Bald war Weihnachten und es graute ihr schon, denn sie wusste das die Menschen sich gemeinsam in ihren Häusern trafen und sie fühlte sich ausgeschlossen, denn die Menschen fanden sie irgendwie sonderbar mit ihrer Tagträumerei.
Da entschloss sich das junge Mädchen auf eine einsame Wanderschaft zu begeben. Lieber war sie ganz allein in der Natur, als im Dorf wo sich alle trafen und sie wieder allein in ihrer Weihnachtsstube sitzen musste.
Sie packte also eines kühlen morgens ihre sieben Sachen und ging auf Wanderschaft in den winterlichen Wald. Es war still und weiß zwischen den Tannen und sie hörte nur das Knirschen unter den Wanderschuhen, während sie immer tiefer in den Wald hineinging.
Was war es bloß, was sie suchte?
Sie wusste es selbst noch nicht genau. Doch als sie so gedankenverloren durch den Schnee stiefelte, vernahm sie plötzlich ein Rascheln im Gebüsch.
„Hallo“, fragte sie. „Wer ist denn da?“
„Was?“ erklang es aus dem Dickicht. „Wer stört mich hier bei meinem Festtagsessen?“, mümmelte es, während Frau Schneehase an ihrer Braumrinde kaute.
„Oh“, sagte das junge Mädchen erschrocken. „Ich wollte sie nicht stören. Ich bin nur auf der Durchreise.“
„Auf der Durchreise. Was macht denn eine Menschenfrau ganz allein zu dieser Jahreszeit im Wald? Warum bist du nicht bei deinen Menschenfreunden?“
Das junge Mädchen blickte traurig drein.
„Ach, ich habe keine Menschenfreunde. Ich bin auch ratlos darüber.“
„Na, wenn du so ratlos bist, dann solltest du mal Großmutter Gaia aufsuchen. Sie hat mir damals sehr geholfen, als ich mal ratlos war und nicht wusste, was ich fressen sollte, wenn überall dieses weiße Zeugs auf dem Boden liegt. Sie hat mir erklärt, dass ich einfach die Rinde der Bäume mümmeln kann. Und was soll ich dir sagen. Die schmeckt wirklich gut. Großmutter Gaia wird die sicherlich helfen können.“
„Großmutter Gaia? Die kenn ich gar nicht.“, sagte das junge Mädchen. „Wo muss ich denn da lang gehen, um sie finden?“
„Ach das ist gar nicht schwer. Da kletterst du einfach diesen Hang hinauf, hinter dem Eulenloch rechts und dann an der Weggabelung immer links halten.“
„Ah vielen dank Frau Schneehase. Dann werde ich mich mal auf den Weg machen.“ sagte das junge Mädchen, doch da mümmelte Frau Schneehase schon weiter an ihrer Baumrinde und hoppelte ins Dickicht.
Das junge Mädchen stiefelte weiter durch den weißen Wald.
Sie hatte noch nie etwas von einer Großmutter Gaia gehört, aber was Frau Schneehase berichtete, hatte ihr Interesse geweckt. So ging sie den Hang hinauf, am Eulenloch rechts und hielt sich weiterhin ab der Weggabelung immer links. Stunde um Stunde vergingen, doch sie fand einfach nichts außer weitere schneebedeckte Tannen und Wege, die sich kreuzten.
Wo sollte sie bloß langgehen? Was war der richtige Weg?
Als sie so fragend an der nächsten Gabelung stand, quiekte es gerade hinter einem Baum hervor.
„Hm, wer stiefelt denn da durch meinen Wald?“, grunzte es verschreckt. „Hier kommt doch sonst nie jemand vorbei.“
Frau Wildschwein lugte aus dem Unterholz hervor, wo sie sich gerade eine gemütliche Kuhle in die Erde gedrückt hatte.
„Oh, Frau Wildschwein ich habe sie gar nicht gesehen. Es war nicht meine Absicht sie hier zu stören.“
„Ach, eine Menschenfrau, wie ungewöhnlich. Was machst Du hier?“
„Ich suche Großmutter Gaia, denn ich bin sehr ratlos und weiß nicht weiter in meinem Leben. Kennst Du sie und weißt du den Weg?“
„Ach Großmutter Gaia“, grunzte Frau Wildschwein. „Sicherlich kenne ich sie. Sie hat mir einmal sehr geholfen, denn ich wusste nicht, wo ich schlafen sollte in diesem Winter. Da half sie mir, meinen Weg zu finden, hier ins Unterholz, wo mich kein Jäger finden kann. Aber da bist du ja komplett auf dem falschen Pfad. Großmutter Gaia lebt hinter dem Hügel rechts neben dem zugefrorenen See. Da bist du hier ganz falsch abgebogen.“
„Oh“, staunte das junge Mädchen. „Wie ungewöhnlich, Frau Schneehase hatte mich genau hierher geführt, aber ich hatte mich schon gewundert, dass ich hier niemanden finde. Dann marschiere ich mal wieder in die andere Richtung den Hügel hinauf. Danke Frau Wildschwein und frohes Suhlen noch in ihrem Unterholz. Sieht sehr gemütlich aus.“
„Oh ja, das ist es auch.", grunzte Frau Wildschwein und vergrub ihren schweren Leib wieder in die Erde hinein.
Das junge Mädchen wanderte also wieder den Hügel hinauf ...
... und nahm diesmal die andere Abzweigung in Richtung zugefrorener See. Aber am See angekommen fand sie irgendwie auch nichts Besonderes. Drei mal ging sie um den See herum, aber überall war nichts als Schnee und Tannen. Komisch, wie konnten sich denn Frau Schneehase und Frau Wildschwein so irren?
„Huhu“, raunte es plötzlich hinter dem jungen Mädchen. „Na sowas, wer bist denn duuhuuu?", tönte Herr Uhu aus seinem Baumloch.
„Oh, Herr Uhu. Na ich bin einfach eine Menschenfrau und wandere irgendwie ziellos durch den Wald.“
„Ziellos. Ja so siehst duhu auch aus. Schon dreimal bist du hier an meinem Baumloch vorbei gekommen. Du solltest mal zu Großmutter Gaia gehen, so verwirrt wie du bist.“
„Ja genau.“, seufzte das Mädchen. „Da will ich ja die ganze Zeit hin. Aber ich scheine mich immer wieder zu verlaufen. Wo finde ich sie denn bloß?"
„Also hier bist duhu zumindest ganz und gar falsch. Großmutter Gaia wohnt am gaaanz anderen Ende des Waldes. Einmal Querbeet immer den Fluss entlang und dann an der Lichtung rechts runter zum Tal Waldesruhuhu.“
„Ach, das ist ja nochmal ein Marsch von mehreren Stunden. Oh man, wann werde ich sie denn endlich finden?“
Das junge Mädchen war schon ziemlich müde und verzweifelt. Was machte sie hier bloß?
Es dämmerte bereits und irgendwie schien kein Waldbewohner den Weg zu Großmutter Gaia zu kennen.
Sie verabschiede sich von Herrn Uhu und ging einfach mal in die Richtung immer den Fluss entlang. Wer weiß vielleicht hatte ja Herr Uhu recht. Stunde um Stunde vergingen. Sie passierte die Lichtung, marschierte die Böschung hinunter und kam schließlich im Tal Waldesruh an. Hier ging sie auf und ab, den Hügel hoch einmal rechts dann wieder links, aber nirgends war eine Großmutter zu finden. Sie wusste ja auch gar nicht, wie diese Großmutter Gaia aussehen sollte.
Es war bereits schon fast Dunkel. Die ersten Sterne leuchteten am Himmel und die Kälte zog in ihre Knochen. Das junge Mädchen liebte die Sterne so sehr. Sie schaute hinauf und bat sie, ihr den Weg zu zeigen. Der Wald war mittlerweile absolut still. Alles schlief und da überfiel auch das Mädchenie eine dumpfe Müdigkeit.
Das junge Mädchen beschloss, an einem Baum Rast zu machen. Der Baum war so groß, dass es einen Fleck am Wurzelwerk gab, an dem kein Schnee lag, sondern noch weiches Moos hervorblitze. Hier legte sie sich nieder. Immer mehr Sterne tauchten am Nachthimmel auf und da war das junge Mädchen schon in einen tiefen Traum gefallen.
Frische Flocken rieselten vom Himmel und eine sanfte Ruhe legte sich über den Wald.
"Was kitzelte denn da?"
Das Mädchen wachte langsam auf und wischte sich übers Gesicht. Immer wieder stubste sie etwas wach. Sie blinzelte nach oben und sah ein grünes Blätterdach.
"Was? Grüne Blätter im Winter mitten im schneebedeckten Wald?"
„Was ist das denn?“, staunte das Mädchen laut, als sie den Baum näher betrachtete, unter dem sie in dieser Nacht Rast gemacht hatte.
„Was ich bin?“, murmelte es aus dem dicken, alten Baumstamm hervor.
Das Mädchen erschrak: „Was der Baum kann reden?“
„Na junge Dame. Du kannst mich ruhig direkt ansprechen. Keine Angst. Ich beiße nicht.“
„Aber wie kann es sein, dass Du grüne Blätter hast? Alles andere in diesem Wald sind Tannen?“
„Ach mein Mädchen“, murmelte die Baumin. „Weißt du, ich habe mich noch nie an den Weg der anderen gehalten. Ich bin immer so gewachsen wie es mir passte. Und ich finde es einfach schön, meine immergrünen Blätter auch im Winter zu behalten.“
„Oh“ das junge Mädchen war merklich erstaunt. „Und fühlst du dich nicht allein unter all den Tannen? Ich mein, wo du doch so ganz anders bist als sie?“
„Nein“, tönte es aus dem Baumstamm. „Weißt du, das große Geheimnis ist, nicht auf die Unterschiede zu schauen und mich mit dem zu vergleichen, was ich nicht bin und was die Anderen anders haben als ich. Ich betrachte die anderen Bäume und sehe unsere Gemeinsamkeit und da erkenne ich ganz klar. Wir sind alle hier in diesem Wald, um zu wachsen.“
„Hm, so habe ich das noch nie betrachtet“, staunte das junge Mädchen. „Das erinnert mich an mein Problem. Zu Hause in meinem Dorf, bin ich auch so ganz anders und es macht mich oft traurig. Ich habe mich bisher dadurch immer ausgeschlossen gefühlt von den anderen Dorfbewohnern. Noch nie habe ich gesehen, dass wir irgendwelche Gemeinsamkeiten haben könnten.“
„Tja, meine Liebe. Dann hast du ja Glück gehabt, dass du jetzt Großmutter Gaia begegnet bist.“
Staunend schaute das Mädchen auf: „Ach du bist Großmutter Gaia?“
Die Baumin lachte, so dass sich ihr grünes Blätterwerk schüttelte.
„Ja was hast du denn gedacht? Also der Weihnachtsmann bin ich nicht.“
„Aber sag mal Großmutter Gaia. Warum habe ich dich nicht gefunden, als ich dich gesucht habe? Und warum haben mir alle Tiere einen falschen Weg genannt?“
„Hmm“, Großmutter Gaia wurde ganz ruhig. „Weiß du liebes Mädchen, niemand kann dir den Weg zu mir verraten. Das ist das große Geheimnis. Jedes Wesen muss seinen eigenen Weg zu mir finden und für jedes Wesen ist meine Botschaft auch ganz anders. Denn anders sein, als die Anderen ist nicht schlecht, im Gegenteil. Erst wenn du beginnst deinen eigenen Weg zu gehen, findest du mich und den Weg deiner Bestimmung."
Mit diesen Worten verstummte Großmutter Gaia auf einmal wieder.
Der Wind im Wald drehte sich und plötzlich war es dem jungen Mädchen klar:
Ja sie war anders als die anderen Dorfbewohner, sie hatte eine Besonderheit. Aber genau das war ja gut so. All die Jahre hatte sie versucht, sich anzupassen, so zu sein wie alle anderen Menschen im Dorf, damit sie dazugehörte. Jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Erst in der Akzeptanz ihrer Besonderheit konnte sie ihren eigenen Weg finden.
Und da fiel es ihr ein. Es gab ja eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und den Dorfbewohnern. Sie alle wollten glücklich sein und wachsen, so wie Großmutter Gaia und die anderen Bäume auch.
Aber wie das Glück tatsächlich für das junge Mädchen aussah, das konnte sich natürlich unterscheiden von dem Glück der Dorfbewohner. Für sie lag das Glück darin, zu träumen und die Sterne zu beobachten, in die Welt hinaus zu gehen und Neues zu entdecken und dafür musste sie sich nicht schämen oder verstecken. Das fühlte das Mädchen in diesem Moment ganz stark in sich.
So wie Großmutter Gaia einfach ganz anders war, als die Tannen im Wald, so wollte auch sie ab jetzt einfach ihren eigenen Weg gehen und gleichzeitig die Dorfbewohner akzeptieren, wie sie waren.
Beschwingt und frohen Herzens machte sich das junge Mädchen wieder auf in Richtung Dorf.
Der Weihnachtsmorgen war angebrochen. Alle Menschen trafen sich in ihren Stuben und verbrachten eine besinnliche Zeit miteinander.
Da war das junge Mädchen gar nicht mehr traurig. Im Gegenteil, sie spürte einen tiefen Frieden in sich. Sie war genau richtig, wie sie war. Als sie die Tore des Dorfes betrat, war schon ein buntes Treiben auf den Straßen. Die Menschen wünschten sich eine frohe Weihnacht. Da drehten sich die ersten Köpfe zu ihr um.
„Ah wer kommt denn da aus dem Wald?“, die Menschen staunten.
„Das ist ja das junge Mädchen.“
Alle Dorfbewohner schauten sie fasziniert an. Denn von dem Mädchen ging ein magisches, warmes, friedliches Leuchten aus. Sie strahlte wie die Sterne und zwar von innen heraus. Sie lächelte voller Sanftmut. Es war das Strahlen der Versöhnung.
Das Mädchen hatte nicht nur verstanden, sondern es wahrhaftig gefühlt, dass sie mit ihrer Besonderheit vollkommen in Ordnung und sogar absolut liebenswert war. Dieses Gefühl half ihr nun alle anderen Dorfbewohner anzuschauen und wahrhaftig zu sehen, was sie für wunderbare, einzigartige Menschen waren.
Und so fühlten sich die Dorbewohner auf einmal von dem jungen Mädchen gesehen. All die Jahre hatte sich das Mädchen gewünscht, dass die Dorfbewohner sie doch endlich akzeptieren sollten. Doch erst als sie sich selbst akzeptierte wie sie war, konnte diese neue Verbindung zwischen den Menschen und ihr entstehen.
An diesem Weihnachtsmorgen fand ein Wunder statt.
Das Wunder der Selbstliebe, welches zu echter, gelebter Verbindung zwischen den Menschen des Dorfes führte.
Und so verbrachten die Dorfbewohner und das junge Mädchen gemeinsam Weihnachten, in gegenseitiger Akzeptanz, darüber dass jeder seine Besonderheit hatte und gleichzeitig alle die Gemeinsamkeit, dass sie glücklich sein wollten, jeder auf seine eigene Art und Weise.
Super, die Geschichte…sooo schön hast Du es erklärt, dass wenn wir unsere Besonderheit verinnerlichen, es dann leichter ist, einander zu akzeptieren in unserer Unterschiedlichkeit…DANKE !!!